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Was gibt es heute für einen Grund, der legendären Einspielung „Free Jazz“ zu gedenken, bei der Ornette Coleman und Eric Dolphy den untersten Stein des Jazz nach oben kehrten? Immerhin war damals nichts mehr wie vorher. Es zählte nur noch die spontane Eingebung, die befreite Improvisation – die Heiligsprechung des Augenblicks. Dabei war Free Jazz kein Drauflosspielen. Auch damals gab es bei aller Neuerung durchaus Strukturen.
Das spürt man auch, wenn Altsaxophonist Max Nagl, Multibläser Ken Vandermark, Drummer Wolfgang Reisinger und Bassist Clayton Thomas Stücke von Coleman und Dolphy noch einmal vorholen und neu arrangieren. Dabei sind die Initialen der Vorbilder titelgebend für das aktuelle Projekt. Tatsächlich gelingt es der Truppe, den Geist der Unabhängigkeit und des Aufbruchs mit ins Heute zu nehmen. Dabei spannen sie die agogischen Freiheiten weiter, breiten Geräuschfelder aus, minimieren das Gesagte, abstrahieren noch einmal.
Das Tolle: Nagl, Vandermark, Thomas und Reisinger verspielen sich nie ins Selbstreferentielle, versanden nicht im selbstverliebten Musizieren, sondern lassen die Leitfäden ihrer spannungsvoll ausgebreiteten Themen immer wieder aufleuchten. Schon zu Beginn bei Dolphys „Miss Ann“ umspielen sich Nagl und Vandermark kunstvoll, ein launiges Zwiegespräch, das ganz ohne Effekte auskommt, bevor es ins Freie führt. Aber selbst da bleibt der Walking Bass von Clayton Thomas ein formstiftendes Element. Oft werden die Themen unisono vorgetragen. Die Zeit der stundenlangen Alleingänge, in die der Free Jazz später ausarten konnte, ist lange vorbei. Nagl, Vandermark, Thomas und Reisinger machen es besser.

Tilman Urbach – Oktober 2009

 

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