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Die Phalanx des wohnzimmertemperierten Jazz beim neu installierten „Echo“ wirkte geläufig: Kaminkuscheliges und Bewährtes wurde belohnt, das Reiten auf Modewellen sowieso. Graugewordene ehrte man. Dass die Jazzwelt bereits vor 1990 östlich von Elbe und Werra weiterging, ward glatt übersehen. Und die deutsche Jazzgegenwart schaut zwar gern in die weite Welt, nur im Süden stehen allzu hohe Berge, um zu bemerken, dass etwa beim Nachbarn Österreich eine hochvitale und sehr junge Jazzszene bemerkenswerte Talente hervorbringt. Aus Salzburg stammt, in Graz lebt die Sängerin, Komponistin und Pianistin Ángela Tröndle, die nach ihrem CD-Debüt „Dedication to a city“ von 2007 eben ein zweites Album mit ihrer Band „Mosaik“ veröffentlicht hat, auf dem sie mit musikalischer Wucht zeigt, dass Jazz ganz ohne Konzession an den Allerweltsgeschmack möglich ist. Tröndle, Jahrgang 1983, stammt aus musikalischem Elternhaus, studierte an der Kunstuniversität Graz und privat bei Luciana Souza sowie Peter Eldridge (New York Voices) in den USA. Die Musik beherrscht sie virtuos aus dem Urgrund, wie man ihren Stücken anhört.
Auf Ángela Tröndles neuem Album „Eleven Electric Elephants“ ist die vierköpfige Besetzung von „Mosaik“ (S. Brecher sax/bcl, M. Lagger p/keyb, V. Czihak b, Ph. Kopmajer dr/perc) um ein Streichquartett erweitert. Das weitet nicht nur die Farben, sondern auch das stilistische Spektrum ihrer Kompositionen, in denen sich Tröndle keinerlei Grenzen setzt. Lustvoll mischt sie die halbe Musikgeschichte in ihren ungemein vielgestaltigen Jazz, was Traditionalisten schrecken mag: Rhythmen aller Art, impressionistische Momente und Zeitgenössisches, Pop- bis Liedermacherelemente, minimalistische Patterns. Doch diese Zutaten schmecken nie vor, sie ergeben individuell gefärbten Jazz mit viel Freiraum für die Instrumente. Das Instrumentarium kommt herrlich sonor daher, die Bassklarinette spielt darin eine gewichtige Rolle und wird der Gegenpol zu Ángela Tröndles Stimme. Diese Stimme ist über und in der famos spielenden Band jenes Element, mit dem alles möglich wird. Ihre stupende Kraft und Wandlungsfähigkeit trägt weit, Tröndle singt zart, melancholisch, wild oder aggressiv und wechselt überraschend von Worten zu Vokalisen, mal frei, mal unisono zu den Instrumenten „spielend“. Und der Klang dieses Gesanges setzt sich im Ohr fest. Keins der 11 Stücke gleicht dem anderen, keines ist auch nur eine Spur simpel: Diese Musik ist ausschweifend, ohne abzuschweifen, bricht selbst in leisen Augenblicken unbändig hervor und rückt einem mit einer Intensität auf den Pelz, die alle Aufmerksamkeit will. Eine Wirkung, die sich auch nach häufigem Hören nicht abschleift. Dazu gibt es eigene, intelligente Texte auf Englisch, doch Tröndle vertraut auch der eigenen Sprache (wunderbar: „Herbst“), was schon Seltenheitswert hat. Solche poetische Dichte strahlt in die Musik und aus ihr zurück. Schwer zu begreifen – o vereintes Europa – dass diese phänomenale Musikerin in Deutschland nahezu unbekannt ist.
Wer komplexen, kunstvollen und extravaganten Jazz sucht, der vor Energie nur so strotzt, muss bei Ángela Tröndle & Mosaik auf Entdeckungsreise gehen.

Hartmut Schütz – 12.07.10

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