Kultur – Zeitschrift | Okober 2018

Polykleitos Dialog nennt sich ein hochkarätiges, in Wien angesiedeltes Quartett, das mit „Means of Polarity“ soeben sein vielversprechendes Debütalbum vorgelegt hat. Der aus Salzburg stammende Saxophonist und Hans-Koller-Preis-Träger Fabian Rucker arbeitete als Musiker, Tontechniker und Produzent unter anderem mit Bobby Previte, Jim Black, John Medeski, Mathias Rüegg, Wolfgang Puschnig, Wolfgang Muthspiel, Nels Cline oder Greg Osby – die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Auch in der Biographie des Tiroler Pianisten Michael Tiefenbacher finden sich prominente Namen wie George Lewis, Billy Cobham oder Wolfgang Puschnig. Der aus Wien stammende Drummer Michael Prowaznik lernte sein Handwerk unter anderem am Berklee College of Music bei Jamey Haddad, Mike Mangini oder Hal Crook und trommelt mittlerweile für das Who-is-Who der jungen österreichischen Jazzszene. Das Quartett wird vervollständigt durch den Hohenemser Bassisten Tobias Vedovelli, der sich das Know-How von Österreichs Top-Tieftönern Robert Riegler, Werner Feldgrill, Raphael Preuschl und Oliver Steger holte, die Jazz-HipHop-Poetry-Band Yasmo & Die Klangkantine mitbegründet hat und wie alle beteiligten Musiker zwar im zeitgenössischen Jazz zuhause ist, aber dennoch nicht eng an irgendwelchen Genregrenzen klebt.

Peter Füßl: Gibt es einen Bezug zwischen dem antiken griechischen Bildhauer Polyklet, der ja auch dafür berühmt ist, den ersten Kunstkanon verfasst zu haben, und der Musik Eures Quartetts?
Tobias Vedovelli: Ein ganz zentrales Element in Polyklets Schaffen und Kanon ist das Spiel
mit Verhältnissen, Stichwort Kontrapost.
Was bei ihm Gewichtsverhältnisse von etwa Körperteilen oder Balancen in Bewegungen
sind, sind bei uns musikalische Parameter. Der Gedanke auch musikalisch mit
Gegengewichten, Kontrasten und Polen zu arbeiten, die sich mal abstoßen, mal anziehen,
mal Spannung erzeugen, mal selbige abbauen, mal kompositorische Fragmente legitimieren
oder aber auf den ersten Blick absurd erscheinen lassen ist eine schöne Parabel auf Polyklets
Konzept.
Füßl: Wo würdest Du Euch stilistisch verorten, wie sieht das Bandkonzept aus?
Vedovelli: Wahrscheinlich wurden wir alle im weitesten Sinne musikalisch durch Jazz
sozialisiert, was auch immer „Jazz“ sein mag. Da gibt es glücklicherweise keine akademische
Definition – das ist wohl unser Konsens.
Michi und ich beschäftigen uns unter anderem viel mit Hip Hop und teilen ein Faible für teils
ungewohnte rhythmische Konzepte à la Vijay Iyer, Steve Lehman, Marcus Gilmore und
KollegInnen, Mike widmet sich viel Neuer Musik unter anderem bei Studio Dan und Fab
tanzt sowieso auf jeder Hochzeit – derzeit in New York.
Es klingt ja schon etwas abgedroschen, was ich an uns allerdings tatsächlich schön finde und
sich alleine schon durch die unterschiedlichen musikalischen Biographien ergibt ist, dass
sowohl kompositorisch als auch spielerisch immer wieder konträre Realitäten kollidieren –
im positivsten und produktivsten aller Sinne. Auch das ist ein weiteres Element, das sich in
die namensgebende Idee einfügt.
Füßl: Habt Ihr alle zu den neun Kompositionen beigetragen? Wie läuft das bei Euch ab?
Vedovelli: Sieben der Nummern stammen aus meiner Feder, zwei Nummern hat Mike
beigetragen. Meistens waren das nicht nur Ideenfragmente oder Leadsheets, sondern schon
durchaus konkrete Kompositionen. Ausgearbeitet haben wir diese dennoch sehr intensiv
und meist auch etappenweise im Kollektiv – oft und lange zu zweit, seltener im Trio und
schlussendlich natürlich im Quartett.
So war dieses Gleichgewicht zwischen Bedeutsamkeit der Komposition und zeitgleichem
Interesse und Offenheit am und für Input der jeweils anderen Musiker eine extrem schöne
und für mich wahnsinnig bereichernde Arbeitsweise.
Füßl: Wie ist das Verhältnis zwischen Durchkomponiertem und Improvisation?
Vedovelli: Auch da ist das Spektrum recht breit gefächert, dennoch sehr ausgewogen. Auf
dem Album sind Nummern wie „Ürsprung Allen Ubels“ oder „Schneiderlein“, die sehr
detailliert durchkomponiert sind, dann wiederum finden sich Tracks, die fast ausschließlich
improvisiert sind wie „The Origin Of Bad Taste“, wo das auskomponierte Thema und die
Changes nur als vager Orientierungspunkt fungiert oder „Das Bad Im Proletenviertel“, wo
sich über rhythmische Modulationen verbundene Kompositionsfragmente mit
Improvisationsteilen abwechseln.
Füßl: Wie sieht Dein persönlicher musikalischer Background aus? Wie bist Du zum Jazz im
Allgemeinen und zum Bass im Speziellen gekommen?
Vedovelli: Eine extrem wichtige Person in meiner musikalischen Sozialisierung war mein
erster Klavier- und Basslehrer an der Musikschule, Dietmar Kirchner, der durch sein
musikalisches Schaffen bestimmt vielen LeserInnen ein Begriff ist. Von ihm konnte ich
unglaublich viele Skills am Bass erlernen, ganz viele neue Musik entdecken und auch erste
kompositorische Luft schnappen. Ich kann mich noch gut erinnern, wie mir Dietmar das
Debütalbum von Jaco Pastorius vorgespielt hat und ich eigentlich nichts Anderes mehr
wollte als „Come On, Come Over“ oder seine „Donna Lee“ Version zu hören und spielen zu
können. Das hat sich mittlerweile geändert – angenehmerweise.
Ähnlich war es dann mit Klaus Peter, meinem Musiklehrer am BORG Schoren und ein toller
Saxofonist etwa beim Jazzorchester Vorarlberg, der mir viele Türen geöffnet hat.
Anschließend dann in Wien bei Musikern wie Raphael Preuschl, der ebenfalls ein
wahnsinnig wichtiger Lehrer für mich war, Oliver Steger, Clemens Salesny oder eben Michi
und Mike, die anfangs meine Lehrer waren und nun Mitmusiker sind, lernen zu dürfen ist
schon wirklich ein ganz großes Glück.
Sehr prägend und lehrreich war auch die schon früh begonnene Zusammenarbeit mit
Konstantin Kräutler, einem fantastischen Vorarlberger Drummer, der nach seinem BerkleeStudienaufenthalt nun auch wieder in Wien aktiv ist.
Füßl: Hast Du musikalische Vorbilder?
Vedovelli: Witzigerweise waren und sind darunter gar nicht so viele BassistInnen – natürlich
kommt man in seiner Laufbahn als Bassist nicht um Kapazunder wie den schon genannten
Jaco Pastorius, Charles Mingus oder natürlich Scott LaFaro. Nachdem ich allerdings den
exzessivsten Jaco-Fankult überwunden hatte, kamen vor allem viele Schlagzeuger wie Mark
Guiliana, Marcus Gilmore, aber auch Roy Haynes und andere Instrumentalisten wie Vijay
Iyer, Craig Taborn oder Ambrose Akinmusire.
Füßl: Du bist ja auch in anderen musikalischen Genres aktiv? Wie sehen dort Deine
Vorlieben und speziellen Interessen aus?
Vedovelli: Ich widme mich seit der Mitgründung der Klangkantine im Jahr 2014 recht
intensiv auch dem HipHop in all seinen Facetten. Dabei bringt die Auseinandersetzung mit
Sprache die dann mit der Musik interagieren und funktionieren soll ganz neue Parameter vor
allem ins Komponieren. Im konkreten Fall passiert das in der Zusammenarbeit mit Ralph
Motwhurf, einem Kompositionskollegen und Yasmin Hafedh, einer Wiener Rapperin und
Poetin, die zwei unglaublich wichtige Personen in meinem Umfeld sind.
Die große Besetzung der Klangkantine über die Bläsersection, die in der Studiositutation mit
zusätzlichem Instrumentarium wie Streichern, Perkussion und SängerInnen angereichert
wird bietet zudem eine Kompositions- und Arrangementherausforderung, die ich keinesfalls
missen möchte.
Füßl: Wie sehen denn deine musikalischen Aktivitäten in nächster Zeit aus? Spezielle
Pläne?
Vedovelli:
Dieser doch sehr intensive Arbeitsprozess an „Means Of Polarity“ ging und geht
mehr oder weniger nahtlos in die nächste Albumproduktion über. Gerade arbeiten wir mit
Yasmo & die Klangkantine am zweiten Album, das im Frühjahr 2019 erscheinen wird. Dabei
bin ich auf mehreren Eben sehr umfassend als Komponist und Arrangeur, Bassist und
Produzent involviert. Außerdem steckt ein weiteres Projekt in den Kinderschuhen, wo mit
Sprachsamples und in kleiner Besetzung gearbeitet wird und wobei wir es mir ein großes
Anliegen ist, ein politisches Statement zu statuieren. Ohne dabei jemandem in der
MusikerInnnenriege auf die Füße treten zu wollen, finde ich, dass es an einer progressiven
politischen Aussage und Positionierung im Jazz, eine in ihren Usrpüngen so dringlich
widerständische Kunstform, massiv fehlt – und dies auch, aber nicht nur aufgrund der aktuell
düsteren Umstände.

Peter Füßl – Oktober 2018

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