Ostthüringer Zeitung

Die Deutsche RUTH 2012, der deutsche Weltmusikpreis des Tanz- und Folkfestes (TFF) in Rudolstadt, wird in diesem Jahr an Die Strottern verliehen. Klemens Lendl, Sänger und Geiger, plaudert über die Musik der Wiener Formation.
Die Strottern, das sind Sie und David Müller, beide Österreicher. Die RUTH gilt als „deutscher Weltmusikpreis“ − welche Bedeutung hat diese Ehrung für Sie?
Im Prinzip ist das eine ungeheure Bestätigung gegenüber allen Zweifeln, dass man unsere Musik jenseits Österreichs, ja jenseits Wiens tatsächlich versteht. Wir singen im Wiener Dialekt, da ist man immer wieder mit solchen Zweifeln konfrontiert. Unsere Erfahrung ist aber − egal, wo wir hinkommen, nach Deutschland oder in die Schweiz, dass wir verstanden werden. Und der Preis bestätigt das. Ob man nun alles versteht, − das ist sicher eine Frage, die sich bei jeder Musik stellt. Aber es kommt etwas an.
Die erwähnten Zweifel haben Sie aber nie erwägen lassen, die Sprache zu wechseln, etwa hochdeutsch zu singen?
Nein, auf keinen Fall, weil es unsere Sprache ist. Das war einfach ein Aha-Erlebnis. David Müller und ich machen seit Ewigkeiten zusammen Musik, seit wir Teenager waren. Und wie alle Teenager haben wir angefangen mit Popmusik und also jahrelang englisch gesungen und auch englisch getextet. Und das war immer ein flaues Gefühl für mich, weil das immer am Rande der Peinlichkeit lavierte. Weil Englisch nicht meine Sprache ist. Man kann nicht alle Sätze, die die Beatles je gesungen haben, in unterschiedlicher Reihenfolge wieder zusammenstückeln. Und da war es plötzlich ein unglaubliches Erlebnis, als ich die ersten Wiener Lieder in meiner eigenen Sprache sang, jedes Wort in seiner Bedeutung ganz anders auf die Waagschale legen zu konnte. Und dann natürlich die Musik − das Gefühl, dass es genau das ist, was man besser kann als andere, wenn man zum Beispiel einen Walzer spielt.
Was war der Impuls, das auszuprobieren?
Der 70. Geburtstag meines Großvaters. Das ist ein Wiener, der in die Steiermark emigriert ist. Und dem wollten wir einfach ein paar Wiener Lieder spielen. Bis dahin kannten wir das Wiener Lied hauptsächlich vom Weghören. Und in der Tat ist da nur ein schmaler Grat zur Grauslichkeit. Ein sehr großer Teil der traditionellen Wiener Lieder ist grauslich, chauvinistisch, rassistisch, widerlich. Und dann aber darauf zu kommen, dass es auch andere Wiener Lieder gibt, oder dass man diese Lieder anders singen kann, das hat uns wahnsinnig gereizt.
Deutscher Weltmusikpreis ist ein viel diskutierter Begriff. Ist das was Sie machen, „deutsche Weltmusik“ oder wie beschreiben Sie selbst Ihre Musik?
Darüber denke ich schon lange nicht mehr nach. Vor Jahren haben wir schon einmal den österreichischen Weltmusikpreis bekommen. Da gab es dann in Österreich große Diskussionen, ob das denn überhaupt Weltmusik ist. Ich habe noch nie genau verstanden, was Weltmusik überhaupt ist. Wir machen, die Musik, die wir machen müssen, die aus uns herauskommt. Wie das dann kategorisiert wird, darauf hat man wenig Einfluss. Für mich selbst kann ich das schon ganz gut rechtfertigen.
Wie?
Wenn Liebeslieder aus Beirut, die eine Mischung sind aus alter persischer Musik und neuen Einflüssen, Weltmusik sind, warum sollte das dann für Liebeslieder aus Wien nicht gelten? Das ist auch eine Mischung aus Wiener Musik, die eine lange Tradition hat und auf ihre Weise ethnische Musik ist. Hier sind die Einflüsse dieses Schmelztiegels Wien der letzten 300 Jahre vermischt.
Ihre Lieder sind in einem positiven Sinne anstrengend. Sie fordern den ganzen Hörer und sind nicht einmal auf den ersten Blick nett. Aus der österreichischen Literatur kennt man diese Weltsicht …
Sicher. Das ist sicher sehr Wienerisch von der Textseite her. Dieses Wiener Lebensgefühl speist sich sehr aus dem gebrochenen Wiener Selbstbewusstsein.
Rührt daher vielleicht auch, dass Sie im Osten Deutschlands besonders gut verstanden werden?
Genau. Dazu fällt mir ein, dass ich ja schon zweimal in Rudolstadt war. Einmal mit den Strottern und einmal mit der Stadtkapelle vom Hannes Löschel. Da ist uns aufgefallen, dass wir hier extrem gut verstanden werden. Und ich denke, das hat viel mit gebrochenem Selbstbewusstsein zu tun. Da gibt es bestimmt Parallelen im Lebensgefühl. Aus dem Hin- und Hergerissensein zwischen dem Bewusstsein des einstigen Glanzes und einer gewissen Provinzialität speist sich Vieles − die Wiener Gemeinheit, die uns als nicht unbedingt erstrebenswerte Tugend erscheint.
… und, die Sie sehr oft aufs Korn nehmen …
ja, die meisten von den Typen, die wir da zeichnen sind ja nicht unbedingt sympathisch. Der Schritt von der Gemütlichkeit dorthin, wo es grauslich wird, der ist sehr klein. Und dieser Übergang ist etwas, das uns sehr interessiert − die Wanderung auf einem ganz schmalen Grat. Dabei ist uns sehr wichtig, dass das ein sehr realistisches Bild vom Menschen ist, das wir zeichnen, keine geschönten Existenzen. Da kommen halt Gefühle wie Neid, wie Eifersucht vor.
Ist insofern eher der Text der Ausgangspunkt für ein neues Lied?
Ja, der Text − eine einzelne Zeile oder ein halber Refrain oder eine Pointe. Und dann entwickeln wir darum herum das Lied, schreiben auf die Pointe hin, bauen, damit das nicht langweilig wird. Wir schreiben nicht viele Lieder pro Jahr, dafür haben die bisher fast alle überlebt über die Jahre. Also wir spielen auch heute noch die Lieder, die wir vor zehn Jahren geschrieben haben. Wir sind vorher sehr kritisch und schicken kein Lied leichtfertig in die Welt hinaus.
Inwiefern hat der ungewöhnliche Name Ihrer Gruppe damit zu tun?
Strotter − das hat einen ganz alten Wortstamm. Es bedeutet soviel, wie im Unrat stöbern. In Wien hat man damit früher die Kanalstrotter gemeint. Das sind die Menschen, die im Wiener Kanalnetz gelebt haben und dort im Sud nach Verwertbarem gesucht haben, zum Beispiel das Fett abgeschöpft und es zum Seifensieder getragen haben.
Sie haben Platten mit alten Wiener Liedern gemacht und mit Ihren eigenen. Was davon erwartet Ihr Konzertpublikum beim TFF?
Wir trennen das nur auf den CDs so stark. Im Konzert mischen wir es. Und so wird das auch in Rudolstadt, wobei der Schwerpunkt sicher auf unseren eigenen Liedern liegt. Und wir spielen dort in der Blechbesetzung. Das heißt zu den Strottern kommen noch ein Posaunist und ein Trompeter hinzu, so dass da musikalisch noch mehr los ist. Das erwartet das Publikum und natürlich viele Geschichten aus Wien.

Dr. Tatjana Mehner – 05.07.12

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