Concerto 2 – April/Mai 2022 – Titelstory

SIMSA FÜNF – Melodie ist das höchste Gut

Seit 5 Jahren bereichert der Schlagzeuger Sebastian Simsa mit einem exquisiten Quintett, das Genregrenzen nonchalant negiert, die österreichische Musiklandschaft. SIMSA FÜNF mischen bekömmliche und inspirierende Cocktails mit Ingredienzien aus Klassik, Folklore, Jazz und einigem mehr. Nachzuhören auf dem neuen Tonträger „Perpetuum Mobile“.

Sebastian Simsa wird 1988 als Sohn des Musikvermittlers Marko Simsa in eine musikaffine Familie hineingeboren. Er ist also von Kindesbeinen an mit vielerlei musikalischen Eindrücken konfrontiert, die von Klassik über Pop-Rock bis zu Volksmusik reichen. Er beginnt mit Klavier, wechselt später zum Schlagzeug, nach Studien in Eisenstadt und Wien beginnt er sich 2012 intensiv mit lateinamerikanischer Musik zu beschäftigen. Er spielt bis heute in verschiedenen Bands und Singer Songwriter Projekten (Kurdophone, Orwa Saleh Ensemble, aNNika etc.) veröffentlichte 2021 die Schlagzeugschule „What Are The Odds?“ und gründet 2017, also vor fünf Jahren, sein Herzensprojekt SIMSA FÜNF. Fast alle seine Stücke erzählen von persönlichen Erlebnissen, reflektieren eine Begegnung, oder vertonen Geschichten, die ihm geschildert wurden. Manchmal sind es auch schlicht musikalische Antworten auf Bühnenprogramme, Bilder oder Filme. Musikstücke diverser Genres, die ihn berührt haben, setzen in ihm einen kreativen Prozess in Gang. Dann sitzt er am Klavier und wiederholt einzelne Teile pausenlos um sich so dem Gefühl zu nähern, welches das jeweilige Thema mit sich bringt. Simsa gehört, nebenbei erwähnt, der heutzutage gar nicht mehr so seltenen Spezies der komponierenden Schlagzeuger an.

Melodien und Geschichten
Melodie ist das höchste Gut, meint Sebastian Simsa, und wenn man die Musik seines Quintetts hört, dann kann man diesen Satz durchaus nachvollziehen. Er legt großen Wert auf Melodie, sie ist der Grund dafür, dass er das spielt, was er eben spielt. Mehr noch: Sie ist die Motivation dafür, dass er überhaupt zu spielen beginnt. Die Melodien sind seine intim persönlichen Geschichten. Der unbändige Drang zum Geschichtenerzählen und die Fähigkeit, diesem Drang in der Improvisation nachzugehen, war für Simsa das Hauptkriterium für die Auswahl seiner Mitmusiker. „Andrej, Florian, Heimo und Carles haben einen großartigen Sinn dafür, Melodien weiterzudenken und zu entwickeln. Um bei der Analogie zu bleiben: Sie haben die Gabe, unglaublich schlüssig zu erzählen, auszuschmücken, ohne den Faden zu verlieren, der Handlung Begebenheiten anzudichten, ohne sie zu verfälschen“, so der Schlagzeuger. Er nennt seinen Kompositionsansatz treffend „Instrumental Story Telling“. Beim Komponieren kann es manchmal sehr schnell gehen oder auch mehrere Jahre dauern, bis ein Stück seiner Ansicht nach fertig ist. Ziel ist es, mit jedem Stück ein kleines Fenster in eine andere Welt zu öffnen und die Zuhörenden nach einem kurzen Einblick noch etwas in dieser Welt verweilen zu lassen. Die CDs der Band könnten also auch als Hörbuch verstanden werden, zwei Bände mit jeweils zehn Kurzgeschichten. Schon die außergewöhnliche Besetzung lässt erahnen, dass Sebastian Simsa mit diesem Quintett einen neuen, unkonventionellen Ansatz gewählt hat, der sich mit „Chamber Folk Jazz“ nur eher ungenau umreißen lässt.

Chamber Folk Jazz
Wer sind nun aber diese SIMSA FÜNF? Da wäre einmal der ukrainisch stämmige Sopransaxofonist Andrej Prozorov, der seit 2001 in Österreich lebt und schon durch Kooperationen mit Joe Zawinul, Karl Ritter oder Otto Lechner auffiel. Weiteres  Heimo Trixner an der Gitarre, welcher am Institut für Popularmusik in Wien (iPop) unterrichtet und u.a. mit Gina Schwarz und Efrain Toro arbeitet. Sowie die zwei Streicher Florian Sighartner an der Violine und der Katalane Carles Muñoz Camarero am Cello.  Ein gut eingespieltes Duo, das zusammen in unzähligen Formationen tätig ist wie z.B. dem Duo Sigmun, dem Trio Billy & Johnny und der Acoustic Pop Band June in October. Simsa über seine Kollegen: „Andrej hat ein unglaubliches Gespür dafür, wo musikalisch Platz ist und wann er lieber nicht spielen möchte. Wenn er dann losspielt hat er die Gabe mit ein, zwei Linien die Sonne aufgehen zu lassen. Ich kenne kaum Musiker*innen, die so einen ausgeprägten Sinn für Melodie in der Improvisation haben. Heimo erkennt die Intention meiner Stücke extrem gut und schafft es immer, diese mit dem richtigen Sound für uns Mitmusiker und die Zuhörer*innen verständlich zu machen. Egal ob jazzig, klassisch, mit  volksmusikalischem Witz oder freudig-bluegrassigem Schlendrian, Florians Spiel hat für mich immer diese Melancholische Tiefe. Er weiß, wann er wo im Stück gebraucht wird und in den Momenten, in denen er dann loslassen und sich tragen lassen kann, macht er eine Tür auf und wir dürfen alle in die Weite hinaus schauen. Carles Rolle ist entscheidend für unseren Bandsound. An unserer Bass-Funktion ist es wichtig, jemanden sitzen zu haben, der uns kammermusikalisch klingen lassen kann, aber ein großes Verständnis für Jazz hat, klassisch klingt, wenn nötig, aber im richtigen Moment eine Bass-Linie hinlegen kann. Ein Cellist der Alte Musik und Jazz studiert hat und Carles musikalische Ausdruckskraft mitbringt, was könnte man sich Besseres wünschen?“
Auf „Perpetuum Mobile“ verstärkt die Sängerin Anna Widauer das Quintett, die ihren Part gekonnt einfühlsam gestaltet und u.a. von Bands wie Low Potion und dem Little Rosie’s Kindergarten bekannt ist.

Das Experiment „Sound“
Sebastian Simsa meint über die Anfänge der Band vor fünf Jahren: „Das war für mich ein großes Experiment. Das Motto war: Wir machen mal zwei Proben, dann überlegt jeder noch einmal, ob das was für ihn ist. Einfach, weil niemand wusste, was da auf ihn zukommt, was ich vorhabe, was ich für Musik mitbringe. Manche der Kollegen kannte ich ja auch noch gar nicht so gut, da wollte ich allen noch eine Hintertür für einen Rückzieher offenlassen. Aber darüber wurde nach der zweiten Probe nie wieder gesprochen, die Frage war nur, wann geht es weiter?“ Es hat verständlicherweise eine Zeit gedauert, bis das Kollektiv wusste, wie die Instrumentierung und sie als Musiker zusammenpassen, wie man als Band klingen wollte. Heute ist allen naturgemäß viel klarer, wo die Reise hingehen soll und was in der Formation gut funktioniert.
Die 10 Stücke, die dann die Tracklist der ersten CD, „The Time We Need“ (2018, cracked anegg records), bildete, hatte Simsa zu diesem Zeitpunkt schon fertig. Da die CD für den Preis der Deutschen Schallplatten Kritik nominiert worden war, sorgte SIMSA FÜNF für ausreichend Gesprächsstoff unter den Journalist*innen. Trotz der mittlerweile zweiten CD des eigenen Ensembles sieht sich Sebastian mehr als Schlagzeuger, denn als Tondichter. Das Komponieren „passiert“ eher in Phasen, in denen er mehr Zeit am Klavier als am Drum Set verbringt.

Erlaubt ist, was gefällt
Schon als Kleinkind war er regelmäßig auf klassischen Konzerten, die oft auch für Kinder aufbereitet waren. Die Ferien hat die Familie meist bei der Verwandtschaft in Kärnten verbracht, auf den Autofahrten dahin begleiteten sie die u.a. die Rolling Stones, Georg Danzer, Herbert Grönemeyer und ABBA. In Kärnten angekommen, hörte man die Verwandtschaft bei der Blasmusik spielen, und bei Festen gab es mehrstimmige, emotionsgeladene Kärntner Lieder zu vernehmen.  Begonnen hat das musikalische Leben Simsas schon mit 6 Jahren am Klavier, im Alter von 10 Jahren wechselte er ans Schlagzeug. Wirklich los ging das ganze aber erst mit ca. 16, da hatte er zusätzlich zur Begeisterung für das Instrument auch Eifer fürs Üben entdeckt. In der Oberstufe spielte er in der Schulband und rappte gelegentlich, gleichzeitig besuchte er jedoch auch klassischen Gesangsunterricht. Es war also immer schon eine wilde Mischung, die ihn interessierte. Zu den wichtigsten Stationen seiner Karriere zählen mit Sicherheit auch seine Jahre in diversen Salsa Bands, vor allem bei Corcovado Salsa Club. Dort lernte er extrem viel über Groove, Zusammenspiel und den Vorteil  musikalisch eingespielter Bands. Diese Vielfalt spiegelt sich nun auch in seiner Musik wider. Unüberhörbar nehmen verschiedenste Stilelemente starken Einfluss auf das Ensemble.
Das Motto lautet: „Erlaubt ist, was gefällt!“ Dabei gibt es keinerlei Anspruch, einer Tradition gerecht zu werden. Was skandinavische, kurdische, irische, arabische, lateinamerikanische oder österreichische Volksmusik in Simsa auslöst, ist wichtiger als die Frage, was im jeweiligen Genre konventionell oder stilgetreu wäre. Das Ergebnis ist in der Musik des Quintetts nach zu hören. Dass bei drei Stücken Anna Widauer mitsingt, ist den Songs geschuldet. In manchen Liedern hört Sebastian im Laufe der Probenarbeit an bestimmten Improvisations-Stellen immer ein- und dieselbe Melodie. Diese singen er und seine Kollegen dann gerne, machen dies auch bei öffentlichen Konzerten. Anders ist es beim Song „Hannette“. Eine Art Schlaflied, bei dem von Anfang an angedacht war, dass es gesungen werden sollte. Für die Aufnahme fand es Simsa naheliegend, sich eine ausgebildete Sängerin ins Boot zu holen. Das hatte sich auch bei der ersten CD, „The Time We Need“, sehr bewährt. „Wenn aus dem Nichts unerwartet eine Stimme auftaucht spricht einen das plötzlich nochmal ganz anders an. Anna habe ich vor einigen Jahren kennengelernt und hatte schnell das Gefühl, dass das gut passen würde“, so Simsa. Der gewisse, typische Sound der fünf hatte sich im Zuge der Arbeit zur ersten CD-Produktion etabliert und wurde auch auf „Perpetuum Mobile“ weitgehend beibehalten.

Ununterbrochene Beweglichkeit
Der Albumtitel „Perpetuum Mobile“ beschreibt das Gefühl, dass sich oft beim Spielen der Band einstellt. Es entsteht ein Sog, der einen mühelos mitzieht. Die Gruppe landet auf musikalischen Energie-Plateaus, auf denen sie gefühlt ewig bleiben könnte, ohne bewusst Energie zuführen zu müssen. Beim Musizieren erlebt sich Simsa als Teil eines Kollektivs. Beim (Er-) Arbeiten seiner Kompositionen übernimmt er die Rolle des Bandleaders. Er hatte vor vier Jahren die Entscheidung getroffen, diese Band nicht demokratisch im Sinne der vollkommenen Gleichberechtigung zu leiten. Es hat ihn einfach gereizt zu sehen, was dabei rauskommt, wenn Musik eindeutig seine Handschrift trägt. Er wollte  die letzte Entscheidung bei sich wissen, um dem Ganzen einen bestimmten stilistischen Rahmen geben zu können. „Ich sehe mich gewisser Maßen als Regisseur und bemühe mich, mit so wenigen Anweisungen wie möglich auszukommen. In der Erarbeitung der Stücke selbst kommt viel Input von allen, und das ist gut so! Die meisten Stücke sind nach einer SIMSA FÜNF Probe nicht mehr so wie vorher.  Ich habe diese Musiker*innen um mich versammelt, weil mich ihre Art zu musizieren, ihre Kompositionen und Konzerte berühren. Ich bin sozusagen einer ihrer größten Fans. Da ist es natürlich leicht, Bandleader zu sein“, meint der Schlagzeuger. Im Gegenzug bemühe er sich, die anspruchsvolle Rolle des Bandleaders bestimmt, fair und engagiert auszufüllen.
Über jeden Song des Tonträgers gibt es viel zu erzählen. Z.B. ist das schon erwähnte „Hannette“, eine Hommage an Hanna Gadsby und ihr Programm „Nanette“, in dem sie offen über persönliche Schicksalsschläge spricht, fragwürdige Männerbilder beleuchtet, und Mut macht für sich selbst einzutreten. „Yaron“ ist die Erinnerung Simsas an einen Konzertabend von Yaron Herman im Wiener Konzerthaus. „Der Ludwig und das Mädchen“ ist von einem Beethoven-Adagio und Schuberts „Der Tod und das Mädchen“ beeinflusst. Judith Ferstl, Sebastians Partnerin, schrieb „Stockholm“ während eines Aufenthaltes in Schweden. Die Melodie ließ Simsa nicht mehr los und „musste“ einfach bearbeitet werden. „Leaving“ ist eine entschleunigte Nummer und erzählt von der Stimmung, welche aufkommt, wenn man eine Reise antritt. Vom Abschiednehmen, von der Ungewissheit, was einen bei der Ankunft erwartet. Dazu passt der Wunsch, dass man zukünftig noch viel mehr Musik der SIMSA FÜNF erwarten darf.

Martin Schuster, Redigatur: Ernst Weiss – April 2022

0