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miss | mister – „Kein Jazz für Jazzfreaks“ – Interview mit Marina Zettl & Michael Kahr von Christian Salentinig.

Der Zufall führte anscheinend Regie, als sich die beiden Musiker Marina Zettl und Michael Kahr vor einigen Jahren bei einem gemeinsamen Auftritt kennen lernten. Dem Zufall sei aber Dank, da hierdurch eine überaus harmonische und zugleich spannende musikalische Beziehung aufgebaut wurde, die bis heute anhält.

Christian Salentinig hat für Jazzdimensions die beiden Musiker kurz vor der Präsentation ihrer neuen CD „Bittersweet“ in Graz getroffen.

Christian: Wie geht es euch so? Ihr seht sehr entspannt aus!

Michael: Sind wir auch! Wir sind sehr froh, dass wir unser neues Album „bittersweet“ nun fertig haben und werden es in den nächsten Tagen der Öffentlichkeit präsentieren und dann zwar keine wirkliche Tournee spielen, aber doch einige Konzerte in Österreich. Auch an Auftritte in Deutschland ist gedacht, da ist aber noch nichts ganz fix.

Christian: Ihr seid der Linie eures ersten Albums weitgehend treu geblieben, habt aber weniger reine Duos mit Klavier und Gesang aufgenommen. Vielmehr hört man ein klassisches Quartett mit Schlagzeug und Bass, sowie einigen Solisten. Wie kam es dazu?

Marina: Uns war es von Anfang an wichtig – und wir spielen ja schon seit 2004 zusammen – dass unsere Band als ein Kollektiv auftritt. Michael schreibt meistens die ersten Lines, dann kommen die Texte von mir und wir arrangieren das Ganze. Da und dort kommen noch Ideen von den weiteren Musikern dazu. Es war bei den Aufnahmen im Studio sehr harmonisch und wir hatten eine Menge Spaß. Duo-Stücke machen natürlich immer noch Freude, aber wir spielen alle sehr gerne in dieser Band, das ist keine temporäre Zusammenarbeit von Musikern, wir sind eine richtige Band… (lächelt)

Christian: Ihr habt ja schon einen gewissen Bekanntheitsgrad als m&m gehabt, warum nennt Ihr euch nun miss | mister?

Michael: Das ist schnell erklärt: Es gab da eine Namensgleichheit mit einer anderen Band, die zwar ganz andere Musik macht, aber bevor es zu einem möglichen Rechtsstreit kommt, haben wir unseren Namen geändert. Aber die Anfangsbuchstaben unserer Vornamen sind ja auch bei miss | mister vorhanden, also stört es uns gar nicht so! (lacht)

Christian: Mir kommt euer neues Album ziemlich reif und durchdacht vor. Euch wird immer wieder vorgehalten, dass Ihr euch zu sehr dem Pop anpasst und weniger Jazz spielt.

Michael: Wo endet der Pop, wo beginnt der Jazz? Pop kommt doch von populär, also das, was unsere Zuhörer hören wollen. Es stimmt, wir machen keinen Jazz für Jazzfreaks, aber wir haben schon ein anspruchsvolles Publikum, das Qualität anscheinend schätzt.
Marina (unterbricht): Dazu fällt mir etwas ein: Vor einiger Zeit wurden wir für einen Ball engagiert und haben dort statt des üblichen Ballprogramms mal unser eigenes Programm gespielt und die Leute waren von Beginn an beigeistert, obwohl das nicht im Rahmen eines eigenen Konzerts ablief.

Christian: Wo würdet Ihr eure Musik nun ansiedeln? Oder wer sind eure Vorbilder?

Michael: Also ich würde sagen, dass wir keiner puren Richtung zuordenbar sind. Wir vermengen Jazz und Pop, wir haben lateinamerikanische Einflüsse, aber wie bereits gesagt, bei uns steht die Qualität immer ganz klar im Vordergrund. Bei einigen Songs auf der CD geht es lauter zu, es gibt aber auch ganz ruhige Momente. Meine privaten Vorbilder sind sicher Leute wie Bugge Wesseltoft und Esbjörn Svensson, die ja auch beide keine expliziten Jazzer sind, sondern ebenso immer auf der Suche nach Neuem sind.
Marina: Ich habe eigentlich keine so wirklichen Vorbilder, am ehesten geht es noch in die Richtung der nordischen Sängerinnen á la Victoria Tolstoy. Musikalisch finde ich auch den Saxophonisten Julien Lourau sehr interessant, vor allem seine Energie bei druckvolleren Stücken und wie er auch behutsam mit leisen Passagen umgeht.

Christian: Habt ihr neben der Arbeit mit der Band noch Zeit für eigene Projekte?

Marina: Also derzeit sind wir viel auf Tour und unser Hauptaugenmerk liegt sicherlich bei miss | mister, aber dieses Frühjahr wird voraussichtlich eine Solo-CD von mir bei einem Londoner Label erscheinen und ich arbeite noch mit einer weiteren Formation mit Gitarre und Akkordeon namens Fikus.
Michael: Ich möchte Ende dieses Jahres meine Dissertation über den mehrfachen Grammy-Gewinner Clare Fischer abschließen und unterrichte Jazzklavier an der Uni in Graz, da bleibt nicht viel Zeit für weitere Pläne. Ich spiele aber dennoch in unregelmäßigen Abständen mit dem Baritonsaxophonisten Thomas Rottleuthner in einem eher freien Projekt und arbeite mit einem Gospelchor in Graz.

Christian Salentinig – 06.06.2008

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