Falter | 21

Wenn Ulrich Drechsler von seiner neuen Liebe spricht, dann hat er für sie nicht gerade charmante Worte übrig. „Sie ist eine richtige Zicke“ sagt er, „und sehr labil in ihrer Stimmung“. Was auch daran liege, dass sie eine physikalische Katastrophe sei. Trotzdem ist sie ihm viel lieber als sein bisheriger Lebensabschnittspartner, mit dem er schon Hunderte heißt Acts geliefert hat. Außerdem habe die Neue eine größere und noch kapriziöserer Schwester, der er mindestens ebenso verfallen sei. Die Rede ist hier natürlich von Holzblasinstrumenten: von Drechslers beiden neuen Favoriten, der Bass- und der Kontrabassklarinette, die neu so viel kosten wie ein billiges Kleinautor bzw. ein Mittelklassewagen. Und von seinem bisherigen Hauptinstrument, dem Tenorsaxofon. Damit wurde der heute 37-Jährige, der seit 1999 in Wien lebt, weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt: als Frontmann des Dancefloor-Powerjazz-Trios Café Drechsler. Dass er auch anderes kann, beweist Drechsler auf seinem neuen Album „Humans & Places“. Zum einen ist er darauf ausschließlich an den Bassklarinetten zu hören, zum andren sind die Töne, die er dem schwierigen Instrument entlockt, so ziemlich genau das Gegenteil dessen, womit er bekannt wurde: Statt funkiger Saxofonlicks fürs schweißtreibende Tanzen gibt es nun wunderbar melodiösen, kammermusikalischen Jazz zum Zuhören in Sitzposition. Ganz zu Beginn seiner musikalischen Laufbahn spielte der in Hamburg aufgewachsene Drechsler bereits B- und A-Klarinette und wollte klassischer Musiker werden. Als er jedoch erkannte, „dass die in ihrem Leen überhaupt keinen Spaß haben“, sattelte er auf das für ihn damals hippere Saxofon um und begann ein Jazzstudium an der Grazer Musikuniversität. Im Rückblick ärgert er sich freilich über die verlorenen Jahre, di3e er dort verbracht hat: „Von dem, was ich damals geübt habe, brauche ich heute absolut nichts mehr.“ In einem Nebenfach hatte er den Schlagzeuger Alex Deutsch zum Lehrer, mit dem er gemeinsam nach der Übersiedlung nach Wien das Café Drechsler gründete. Das ist für ihn zwar nach wie vor super, entspreche seinem eigentlichen Wesen aber nicht mehr so richtig. „Durch meine Heirat und meinen mittlerweile zweijährigen Sohn habe ich mich besser kennen gelernt: Eigentlich bin ich ein relativ ruhiger Mensch. Nur wollte ich das lange nicht einsehen, hab stattdessen Nächte durchgemacht und bin in schrillen Klamotten herumgerannt.“ Heute trägt Drechsler eine randlose Brille und eher elegantes Outfit.

Der andere Partner im Café Drechsler war und ist der Kontrabassist Oliver Steger, mit dem Drechsler eigenen Aussagen zufolge schon „fast verheiratet“ sei. Tatsächlich habe die beiden gemeinsam über die Jahre auf vielfältige Weise zusammengearbeitet: Unter dem Titel „Poesis“ bearbeiteten sie Schuberts „Winterreise“ im Jazzquartett, und im Trio nahmen sie sich der Musik des legendären Pianisten Thelonious Monk an („The Monk in All of Us“). Steger sorgt selbstverständlich auch auf „Humans & Places „ für die harmonischen Basslinien. Daneben ist er aber auch der Betreiber jenes Labels, das die Platte vor wenigen Tagen in Österreich veröffentlichte und in den nächsten Monaten europaweit und sogar in Japan herausbringen wird. Den eigentlichen Anstoß zu diesem neuen Projekt gab allerdings ein anderer: der Jazzpianist Tord Gustavsen. Nachdem Drechsler dessen jüngstes Album „Ground“ (ECM/Lotus) gehört hatte, das es in den norwegischen Popcharts auf Platz eins schaffte und sich selbst in Österreich mittlerweile mehr als 3000-mal verkauft hat, war ihm klar, dass er unbedingt mit Gustavsen spielen wollte. Das ließ sich allerdings erst nach einigem Hin und Her im Herbst des Vorjahrs auch realisieren. Dann aber klappte es auf Anhieb: „Sechs der sieben Nummern, auf denen Tord mitspielt, haben wir in einer Stunde aufgenommen.“

Die Kompositionen auf „Humans & Places“ sind auch ähnlich kontemplativ und melodiös wie jene der beiden Trioplatten des Norwegers, einer der aufstrebenden Stars des Münchner ECM-Labels. Und auch der vielbeschworene Sound der renommierten Plattenfirma hinterließ auf Drechslers Album seine Spuren. Die Aufnahme lässt den vier Instrumenten viel Raum und beeindruckt durch ihren transparenten Klang ebenso wie durch die Wärme und Weichheit der Bassklarinette. „Das Erste, was ich höre, ist einfach der Sound“, sagt Drechsler, „und danach entscheide ich, ob mir eine Musik gefällt.“ Auch bei den großen Instrumentalisten macht für ihn der Ton die Musik. Zu seinen Favoriten zählen deshalb eher die lebenden französischen Meisterklarinettisten Louis Sclavis und Denis Colin als die verstorbenen Freejazzlegende Eric Dolphy. Und schon gar nicht Archie Shepp. „Der ist natürlich ein unglaublicher Saxofonist. Aber ich kann mit seinem harten Ton einfach nichts anfangen.“ Drechsler hingegen „will einfach nur schöne Musik machen und den Menschen ein paar schöne Stunden bereiten“, so sein entwaffnend schlichtes Credo. „und zwar nicht nur den Jazzfans.“

Das dürfte ihm mit der neuen Platte gelungen sein. Drechslers privaten Härtetest hat sie jedenfalls bestanden: „Meine Schwiegereltern und deren Bekannte, die so um die siebzig sind und sonst eher Musikantenstadlmusik hören, fanden sie super.“

Klaus Taschwer – 24.05.2006

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